Riga ist eine Reise wert

     

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(Achim - Eurofestival 2001)

Allein schon die Vorbereitung der Hin- und Rückreise zum 13. Europäischen Betriebssportfestival ist ein eigenes Kapitel wert. Riga, die lettische Hauptstadt ist weit, und der Weg dorthin ein langer. Wegen chronischer Flugangst eines der Teilnehmer kam ein Flug nicht in Frage (diesen muss man auch mit mehr als 1000 DM ansetzen), die Bahn fällt auch aus, da die einzige Verbindung (über Vilnius) nur des nachts in einem 2. Klasse-Zug ohne jeglichen Schlaf- oder Liegewagen zu bewältigen ist.

Nicht viel verheißungsvoller erschien uns der Landweg: Mit dem Bus im Bunde mit weiteren 50 nicht immer nur wohl riechenden Menschen über 24 Stunden in einem sogenannten Schlafsessel, in dem man alles, nur nicht schlafen kann, das erschien uns auch keine allzu gute Alternative. Auch die Fahrt mit dem eigenen PKW scheuten wir ob der großen Distanz verbunden mit den uns bekannten polnischen Straßenverhältnissen. Aus diesem Grunde entschieden wir uns für eine Überfahrt mit dem Schiff. Eine nicht ganz billige, doch zumindest geruhsamere Variante.

Doch eine direkte Verbindung nach Riga gibt es nicht (die Verbindung Travemünde - Riga wurde vor 2 Jahren eingestellt), wir entschieden uns für die Überfahrt von Mukran (auf Rügen) nach Klaipeda, das ehemalige Memel, das heute in Litauen liegt. Doch als ich die Tickets Anfang des Jahres ordern wollte, wurde mir mitgeteilt, dass ich frühestens einen Monat vor Fahrtantritt buchen könne.

Einen Monat vorher hieß es dann, Passagier-Tickets gäbe es frühestens 1 Woche vor Fahrtantritt. Auf Nachfrage erhielt ich zur Antwort, dass es sich bei der Fähre eigentlich um eine Frachtfähre handele und nur, wenn noch Plätze über seien, würden diese mit normalen Passagieren aufgefüllt. Aber die gute Nachricht war, so erklärte mir die Dame von der Reederei, dass die Linie nun jeden zweiten Tag befahren würde. Na prima, nur dass das nicht mehr mit unserem Fahrplan harmonierte, war nicht so ganz nach unserem Geschmack.

Also versuchte ich erst einmal, noch Karten für die Passagierstrecke Kiel-Klaipeda zu ergattern. Doch zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass ich diese bereits im Januar hätte ordern müssen. Tatsächlich gelang es mir nur, die letzten 6 Plätze für die Rückfahrt von Klaipeda nach Kiel zu bekommen, die Hinreise sollten wir mit meinem Van bewältigen.

Am Abreisetag waren alle äußerst pünktlich zur Stelle - bis auf Robert, der fast eine Stunde zu spät kam. Die Stimmung war also bestens, als wir los fuhren.

Das ist sie, die Gruppe der Verwegenen: Der Meister, unser Redner (vor dem Herrn), der Große Vorsitzende, der kleine Albrecht, der Schnelle und der große Albrecht.

Alle zwei Stunden eine Pause, so war es abgemacht, damit die Raucher auch zu ihrem Recht kämen. Doch die Rufe nach einer Pause kamen so häufig, dass man das Gefühl haben konnte, dass sie gar nicht ankommen wollten. Der Höhepunkt der schmachtenden Fahrt war erreicht, als wir vor einem unbeschrankten Bahnübergang standen, und einige dies zu einer Raucherpause ausnutzen wollten - wir befanden uns wohlgemerkt an dritter Stelle vor dem Bahnübergang!

Den ersten Teil der Strecke kamen wir einigermaßen flott voran, zumindest bis Szczecin (Stettin) fuhren wir auf der Autobahn und die Strecke bis Bydgoszcz (Bromberg) war auch noch recht ordentlich. Doch was sich dahinter auftat, das war eine Herausforderung für Mensch und Material, eine Strecke für den sportiven Fahrer also. Als erfahrener Polen-Fahrer war ich ja schon einiges gewohnt, aber diese Strecke schlug alle Rekorde. Insbesondere im ehemaligen Ostpreußen konnte man sich nicht des Gefühls erwehren, dass die wunderschönen Alleen noch aus der Zeit stammten, als Polen als Staat noch nicht existierte. Und was die Bodenwellen anging, die waren schon selten herrlicher Natur! Da über diese Strecke auch der gesamte Vertriebenentourismus gen Ostpreußen entlang fährt, hat man andauernd schicke deutsche Busse vor sich. Und dann steht man vor dem Dilemma, entweder mit Tempo 40 hinter dem Gefährt hinterher zu zuckeln oder aber mit einem gewagten Manöver dieses zu überholen - angesichts der quasi nicht vorhandenen Breite der o. g. Alleen.

Damit es im Auto nicht gar zu eintönig wurde sorgte insbesondere Hans-Werner mit lustigen Streichen für heitere Stimmung! Als wir abends in Olsztyn, das frühere Allenstein, ankamen, waren wir alle recht geschafft. Die größte Stadt des polnischen Teils des ehemaligen Ostpreußen hat sich, wie fast alle polnischen Städte, im Stadtzen­trum fein heraus gemacht. Vollkommen restauriert präsentiert sich der Kern dieser hübschen Stadt. Nachdem wir auch ein gutes Restaurant fanden, tranken wir das beste polnische Bier, das ich jemals getrunken habe (und ich habe derer wirklich schon viele gute kennen gelernt). Brok hieß das mundige Gesöff, das ganz zart an unseren Gaumen herunter floss.

Wie gut es floss, merkten wir insbesondere am Tag danach. Unser Hotel war zwar sehr komfortabel, doch was nutzt es, wenn die Zeit, dies auszunutzen, viel zu kurz ist. Gegen 8 Uhr waren wir wieder auf der Strecke und freuten uns gegen Mittag, dass wir ohne Komplikationen an der litauischen Grenze ankamen (durch die russische Enklave geht es nicht so ohne weiteres, man braucht dazu ein Visum). Die Freude steigerte sich sogar noch, als wir sahen, dass nur ca. 10 Autos vor uns am Schlagbaum standen. Doch die Freude ließ nach, als wir schon eine Viertel Stunde warteten, ohne dass sich irgend etwas am Schlagbaum tat (und wir erst später bemerkten, dass es sich um den ersten von 4 Schlagbäumen handelte).

Wir machten uns schon ernsthafte Sorgen um das Wohlbefinden der Zöllner (vielleicht hatte eine Lebensmittelvergiftung die gesamte Mannschaft hingerafft), da kam zum ersten Mal ein kleines Männchen aus seinem Häuschen heraus und öffnete den Schlagbaum. Voller Erregung musste die gesamte Besatzung eingesammelt werden: die Raucher mussten ihrem Laster frönen, Hans-Werner war irgendwo, und der Rest zum Pinkeln! Und als alle endlich wieder im Wagen waren, da ging der Schlagbaum auch schon wieder zu!

Ein einziges Auto durfte passieren! In ungefähr diesem Tempo ging es weiter! Im Reiseführer stand geschrieben, dass die Balten ihre Grenzen lieben würden, und das kann ich nur bestätigen. Wie sehr sie ihre Grenzen liebten, erfuhren wir auch, als wir endlich den Schlagbaum passieren konnten: erst einmal wurden alle Pässe einkassiert. In Windeseile - so ca. nach einer halben Stunde - bekamen wir diese zurück! Doch wer jetzt glaubte, wir hätten es geschafft, der lag falsch: Da Litauen (im Gegensatz zu Lettland) mit der hiesigen Versicherungswirtschaft kein Abkommen über eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, schlägt diese an der Grenze mit 30 DM zu Buche. Nach fast 1½ Stunden hatten wir die Grenze hinter uns und vor uns lag das Paradies.

Ob der Tatsache, dass die baltischen Staaten noch vor 10 Jahren der Sowjetunion angehörten, waren unsere Ängste, dass die Straßenverhältnisse sich noch verschlechtern würden, schon extrem hoch (obwohl es sich dann um Schotterpisten hätte handeln müssen). Doch was uns erwartete, überbot alle unsere Hoffnungen: Litauen, ein Land, so flach wie Schleswig-Holstein (das trifft übrigens auch auf Lettland zu), hat neue zweispurige Straßen so breit wie Autobahnen. Ortschaften sind abseits jener Straßen und Kurven so lang gezogen, wie man es sich kaum vorstellen kann. Sie laden also zur schnellen Fahrt ein. Zur zu schnellen Fahrt, denn überall lauert die Polizei, wie unsere Sportfreunde von der HEW erfahren mussten. Für sie war es, wie wir hörten, ein teures Vergnügen.

Wie dem auch sei, wir kamen wunderbar voran, da es auf diesen Straßen auch kaum Verkehr gibt (man konnte sich schon fragen, wozu dann all diese neuen großen Straßen). Einzig die Grenze nach Lettland stoppte unseren Vorwärtsdrang, doch nach einer halben Stunde hatten wir auch diese Hürde hinter uns, und einige Baustellen vor uns. Die Letten lagen hinsichtlich des Straßenbaus einige Jahre hinter den Litauern.

Am Nachmittag erreichten wir Riga, schon kurz vorher konnte man bemerken, dass es sich um eine echte Großstadt handelt, der Verkehr nahm unaufhörlich zu. Riga, das zu Sowjet-Zeiten noch eine Millionenstadt war, hat jetzt rund 850.000 Einwohner und ist damit die größte Stadt des Baltikums. Durch die Stadt fließt die Daugava, auf deutsch hieß sie wohl mal Drina, und es ist schon ein gewaltiger Anblick, wenn man diese auf eine der vier Brücken, die zum Zentrum führen, überquert. Eine der Brücken ist übrigens an Stahlseilen aufgehängt, irgendwie kam mir das bekannt vor...

Ein Blick über Riga vom Turm der Petrikirche, dem Wahrzeichen der Stadt, aus. In der Mitte sieht man den Rigaer Dom, im Hintergund die Daugava, die von einer an Stahlseilen aufgehängten Brücke überquert wird.

Unser erstes Ziel war das Registrierungsbüro in der Skonto-Halle. Die Skonto-Halle liegt neben dem Stadion des Vereins Skonto Riga, seines Zeichen mehrmaliger lettischer Fußball-Meister. Die Halle ist, so schätze ich, von der Spielfläche her ungefähr zwei bis drei mal so groß wie unsere Alsterdorfer Sporthalle. Nach einigen wenigen Formalitäten schickte man uns gleich auf den Weg nach Jurmala. Jurmala, was zu deutsch wohl einfach Strand bedeutet, ist eigentlich keine richtige Stadt, sondern eine Ansammlung von mehreren kleinen Ortschaften vor den Toren der Hauptstadt an der Rigaer Bucht. Er zeichnet sich durch seinen weißen, riesig breiten, langgezogenen Strand aus. Noch zu sowjetischen Zeiten war es für die Bürger des Landes etwas Besonderes, Urlaub an der Rigaer Bucht (wie auch an der kurischen Nehrung) zu machen. Unser Hotel, auf den ersten Blick ein knallroter potthässlicher Bau aus sowjetischen Zeiten, war zwar nicht das Beste, aber es war zumindest zweckmäßig eingerichtet. Für mehr hatten wir ja schließlich auch nicht bezahlt. Zur Ehre des Hotels muss man jedoch sagen, dass die Gemeinschaftseinrichtungen sehr gut waren. Der Speise-Raum inklusive des Essens waren mehr als akzeptabel und die Hotel-Bar durchaus vorzeigbar.

Ich nehme an, dass die Kapazitäten (insbesondere an preiswerten Unterkünften) in Riga selbst nicht ausreichten, sodass viele Festival-Teilnehmer in Jurmala untergebracht wurden. Ein kleines Problem der Veranstaltung blieb allerdings die Fahrt vom Hotel nach Riga. Zwar wurde vom Veranstalter ein Shuttle-Service, der auch im Preis inbegriffen war, bereitgestellt, doch auf diesen verzichteten wir lieber, nachdem wir diesen am ersten Morgen in Anspruch nahmen. Ein überbesetzter, total stickiger Bus brachte uns zur Skonto-Halle, von wo aus wir nochmals eine halbe Stunde laufen mussten, um zu unserem Wettkampfort vorzudringen.

Später haben wir diesen Service dann doch noch einige Male genutzt, und wir mussten feststellen, dass wir beim ersten Mal einfach nur Pech gehabt hatten. Ansonsten nutzten wir die Bahn, deren Station drei Minuten vom Hotel entfernt war. Zwar dauerte die Fahrt fast eine Stunde, doch dafür war der Hauptbahnhof ganz in der Nähe unseres Spielortes. Leider hätten wir für die Bahn eigentlich bezahlen müssen. Eigentlich, denn mit dem Vorzeigen des Teilnehmerausweises gaben sich die meisten Schaffner zufrieden. Einzig Marten hatte auf einer einsamen Bahnfahrt einmal Pech gehabt, als sich eine Bahnangestellte nicht mit dem Ausweis zufrieden gab. Es muss ein einmaliges Schauspiel gewesen sein, wie die beiden miteinander diskutierten und niemand ein Wort des Anderen verstand. Bis sich endlich ein weiterer Fahrgast erbarmte und dolmetschte. Das Ganze endete damit, dass die Schaffnerin irgendwann entnervt abwinkte und Marten ohne Fahrkarte nach Riga kam.

Das mit der Bahnfahrt hätte auch wunderschön sein können, wenn diese auch fahrplanmäßig (normalerweise so ca. alle 20 Minuten) gefahren wären. Leider fielen 3 von 4 Züge wegen Gleisbauarbeiten aus.

Am Ankunftstag waren wir dann doch so erschöpft, dass wir uns in der Hotel-Bar niederließen. Die Bar sowie die Bedienung verdienten beide die Note gut. Gleich zu Beginn kam es zu folgendem Gespräch:

Kellner: "Was wünschen Sie?"

Gast: "Was für ein Bier haben Sie?"

K.: "Deutsches und Lettisches!"

G.: "Was für ein lettisches haben Sie?"

K.: "Selter!"

G.: "Ich möchte aber ein Bier!"

K.: "Ist gut, Selter!"

Bevor dieser interessante Disput noch ins Unendliche ging, beendete ich diesen mit den Worten: "Dann bringen Sie mir das mal!" Und die Lösung war, dass er mir ein Bier namens Zelta (sprich: Selter) brachte. Übrigens ein süffiges Gesöff, das dem polnische Brok in nichts nachstand und an dem wir uns für den Rest der Reise labten. Nun wussten wir auch, warum die lettische Braukunst so gerühmt wird.

Nun gut, die Geschichte wiederholt sich bekanntlich, und so erging es uns am nächsten Morgen genau so wie am Tage zuvor. Mit Ach und Krach schafften wir es, pünktlich (um 12 Uhr) am Spielort zu erscheinen. Und wir waren alle recht angenehm überrascht.

Das Ambiente unseres Spielsaales war äußerst ansprechend. Hinten links sitzt der große Hans (im bunten Hemd), ganz links ist Holger Schwarzwald von der HEW zu sehen.

Wir spielten im Haus der lettischen Gesellschaft, welches auch die Staffage für verschiedene Hochzeiten sowie die Approbation bildete. Wir spielten in einem äußerst stilvollen Raum, in dem es sehr viel Platz für alle Teilnehmer gab. Recht ungewohnt war es für die meisten Spieler, dass nur mit Digitaluhren gespielt wurde (übrigens sollte angeblich der gesamte lettische Bestand aufgefahren worden sein).

Insgesamt trafen sich zum 13. Eurofestival etwas mehr als 3000 Sportler aus 20 Nationen, um in 19 Sportarten miteinander zu konkurrieren. 38 davon aus 7 Nationen frönten dem königlichen Spiel. Die recht hohe Teilnamegebühr verbunden mit der Tatsache, dass es keine Geldpreise zu gewinnen gab, waren sicherlich auch Gründe dafür, dass das Turnier in sehr angenehmer Atmosphäre ablief. Man hatte sogar das Gefühl, zu einer großen Familie zu gehören. Trotzdem war das Niveau recht hoch. Immerhin fanden sich diverse Spieler mit einer DWZ über 2000 ein.

In der ersten Runde spielte natürlich die obere gegen die untere Hälfte. Robert hatte als Bester der unteren Hälfte dabei das Pech (oder aber das Glück) gegen den Turnierfavoriten Ralf Müller von Stern Stuttgart (Mercedes), ein sympathischer Zweitligaspieler aus Ulm (DWZ 2348), antreten zu müssen. Zu unserer aller Überraschung gelang ihm ein Remis: mit der etwas besseren Zeit und der leicht besseren Stellung bot er Remis an, was sein Gegner vernünftigerweise auch annahm. Eine Überraschung gelang auch Doc Wolfgang in der Auftaktrunde: Gegen Gregor Krenedics (Bausparkasse Schwäbisch Hall), der auf dem 19. Rang (Tabelle) landete, musste er die Segel streichen. Ich hatte das Glück, noch zur oberen Hälfte zu gehören, und hatte es damit mit dem vom Papier her zweitschwächsten Teilnehmer zu tun: Mit dem Israeli Levin Itzhak Haim (Hapoel Bank) aus Tel Aviv hatte ich während der Pausen häufiger einen sehr angenehmen Gesprächspartner.

Doch er spielte weit besser als seine Zahl, nur mit Mühe gelang mir der Sieg im Endspiel, nachdem er im Mittelspiel große Vorteile hatte. Marten hatte gegen den Letten Jurijs Novozenins (Ventspils Nafta, eine Erdöl-Gesellschaft) keinen Stand und verlor. Sein Gegner sollte nach prächtigem Start (3 aus 3) noch recht böse vom Schweizer System gebeutelt werden und bis zum 17. Rang durchgereicht werden. Norbert bekam es mit dem Niederländer John Sloots (Atos/Origin), von dem noch öfter die Rede sein wird, zu tun und musste schnell erkennen, dass er keine Chance hat. Hans-Werner musste auch eine Auftaktniederlage gegen Hans Martin Fetzer (Bspk. Schwäbisch Hall) hinnehmen. Ein Sieg nur in der 1. Runde, das war dann doch etwas zu wenig.

Doch das sollte sich ändern: Der große Vorsitzende, der den einzigen Siegpunkt in der Auftaktrunde ergatterte, bekam es nun mit John Sloots, seines Zeichens holländischer Erstligaspieler aus Apeldoorn - aber einer der schwächsten, wie er selber sagte -, zu tun und schrammte im Endspiel nur recht knapp an einem Remis vorbei. Doc Wolfgang traf auf Hans-Werner und hatte leichtes Spiel. Robert traf auf Holger Schwarzwald von der HEW, der am Ende 36. wurde, und wurde seiner Favoritenrolle gerecht. Norbert gewann sein Match gegen den Franzosen Jean Marc Lepetre (Caisse d´espargne), der Platz 30 erzielte. Marten siegte locker gegen Edgar Sommerfeld von der Iduna, sodass wir jetzt alle - bis auf Hans-Werner - bei mindestens 50% lagen.

 Die dritte Runde bescherte mir den jugoslawische Schwaben Theo Savatic (Stern Stuttgart), der laut eigener Wertzahlangabe der schwächste alle Teilnehmer war. Was von diesen Angaben zu halten ist, darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Auf jeden Fall war es gegen diesen hypernervösen Gegner, der letztlich 35. wurde, bis zu dessen Patzer, der mir zum Sieg gereichte, recht schwierig, in Vorteil zu geraten.

Doc Wolfgang hatte es mit Marten zu tun, der es ihm auch leicht machte, zu gewinnen. Robert hatte es da schon etwas schwerer und bekam Hans Martin Fetzer, Hans-Werners Widersacher aus der Auftaktrunde, als Gegner zugelost und rächte Hans-Werner souverän. Norbert hatte es mit dem spielstarken Udo Scharrer (Stern Stuttgart) zu tun und erledigte diese Aufgabe recht souverän. Hans-Werner spielte meinen Auftaktgegner Itzhak Haim Levin (34.) an die Wand, womit auch er seinen ersten Punkt erzielte.

Am Ende des ersten Tages konnten wir mit unserer Ausbeute zufrieden sein: Robert spielte mit seinen 2½ Zählern ganz oben mit und Norbert, Doc Wolfgang und meine Wenigkeit lauerten mit 2 aus 3. Nur Hans-Werner und Marten waren vielleicht nicht ganz so zufrieden. Diesmal ließen wir den Abend recht gemütlich in unserer Hotelbar ausklingen.

Mein Funkwecker hatte wieder Kontakt zu seiner Sende-Zentrale gefunden, mir fehlte leider der Kontakt zur Realität, sodass ich vergaß, den Wecker eine Stunde vorzustellen, da in Lettland MEZ + 1 Stunde gilt. Also verschlief ich locker um 1 Stunde und wunderte mich im Frühstücksraum, warum das Buffet schon abgeräumt war. Doch dank der netten Bedienung erhielten ich und Marten noch ein Frühstück. Da wir bis zum Start des 2. Turniertages (15 Uhr) noch etwas Zeit hatten, besorgte ich mir noch einige CDs der lettischen Superband schlechthin, Brainstorm (oder auf lettisch: Prata Vetra), die auch andauernd im Radio zu hören waren. Wer sie nicht kennt: Sie waren beim Grand Prix d´ Eurovision 2000 Dritter geworden. Und bei dem Radiointerview mit mir habe ich einige Titel vorgestellt.

Pünktlich um 15 Uhr begann die 4. Runde. Überhaupt muss man sagen, dass das Turnier dank der Organisatorin, der Generalsekretärin des lettischen Schachverbandes, Andra Cimina, hervorragend organisiert war, und es nichts zu beanstanden gab.

Doc Wolfgang hatte es in einer Spitzenpartie gegen Robert zum dritten Mal mit einem Spieler unserer Schachgruppe zu tun und löste auch diese Aufgabe recht schnell. Damit musste Robert seine erste Niederlage hinnehmen. Ich hatte es mit Sigfried Kraemer (Stern Stuttgart) zu tun, der sich wohl für so stark hielt, dass er mein Remisangebot (ich hatte eine Qualität gegen einen Bauern mehr) sehr sehr gnädig annahm, und dies auch stark zum Ausdruck brachte (ich konnte nur nicht verstehen, warum er eigentlich remis annahm). Norbert gewann in Runde 4 gegen Werner Ruisinger (Stern Stuttgart), sodass er nun mit 3 aus 4 in der Spitzengruppe mitspielte. Marten sorgte mit dem Sieg über den späteren Träger der roten Laterne, Thomas Grahm (Bspk. Schwäbisch Hall), für ein ausgeglichenes Konto, und Hans-Werner remisierte gegen Udo Scharrer.

Gegen eben jenen Udo Scharrer, der letztlich auf Platz 22 landete, remisierte auch Marten in der 5. Runde. Hans-Werner wurde auch Edgar Sommerfeld (32.) von der Iduna zugelost, der diese Aufgabe genauso wie zuvor Marten zur vollsten Zufriedenheit löste und damit zwischenzeitlich bei 50% angekommen war. Ich bekam es nun mit Robert zu tun, ein besseres Endspiel verspielte ich und durfte froh über das Remis sein, da ich mit meinem blanken König wohl kaum mehr erhoffen konnte. Norbert schied mit seiner Niederlage gegen den Spitzenspieler von der Iduna, Roland Kammer, vorerst aus der Spitzengruppe aus. In dieser blieb jedoch Doc Wolfgang, der Janis Lelis, einem netten Letten, das Nachsehen gab.

Doc Wolfgang blieb auch nach der 6. Runde mit 4½ aus 6 in der Spitzengruppe, da er gegen den Spitzenreiter John Sloots remisierte. Robert, der gegen Werner Ruisinger gewann, meldete sich mit 4 Punkten in eben jener zurück. Ebenso in der Spitzengruppe meldete sich Norbert (4 Punkte) mit dem Sieg über Hans Martin Fetzer zurück.

Mit einem Remis gegen den Letten Vjaceslavs Vernuks (Ventspils Nafta) blieb ich zumindest über 50%. Hans-Werner musste gegen Bernd Wepfer (Stern Stuttgart) eine Niederlage hinnehmen. Marten behielt mit dem Remis gegen Harald Barg (Bspk. Schwäbisch Hall) sein ausgeglichenes Konto. Seine Freude über das Remis war recht groß, denn gegen den vermeintlich zweitstärksten Spieler (2200) ein Unentschieden, das ist wahrlich nicht schlecht. Zumindest dann nicht, wenn diese Zahl auch gestimmt hätte. Doch der liebe Schachfreund Barg hat sich wohl den Scherz erlaubt, seine Zahl um ca. 400 Punkte besser als sie wirklich ist, anzugeben. Vielleicht wollte er einmal austesten, wie weit er damit kommen könnte. Zumindest die ersten acht Runden bot er so rechtzeitig remis an, dass die Gegner aus Angst vor der großen Spielstärke dieses Angebot auch annahmen. Erst in der letzten Runde verlor er gegen Klaus-Dieter Meyer von der Iduna (9.), dem er in eine Haus- und Magenvariante hineinlief, sodass es nur zum 24. Rang langte.

Nach dem 2. Tag lagen die meisten von uns über den Erwartungen und waren recht guter Dinge. Die jüngere Hälfte des Sextetts ließ den Abend in der In-Disco der Hauptstadt ausgleiten, wo u. a. ein Konzert einer russischen Band geboten wurde, und nur mit Mühe gelang es Marten, Robert und mich von der Table-Dance-Bar der Disco fernzuhalten. Nach dieser erfolgreichen Verteidigung machten wir uns gegen Morgen noch einmal auf in die Skonto-Halle, in der die allabendliche Festival-Feier im Ausklingen begriffen war. Mit dem letzten Bus ging es dann heimwärts gen Jurmala.

Runde 7 brachte für Hans-Werner ein Remis gegen Reinhard Kraemer (Stern Stuttgart), der am Ende exakt den selben Platz wie er belegte. Marten war der dritte aus unserer Gruppe, der es mit Werner Ruisinger zu tun bekam. Wie zuvor schon Norbert und Robert erledigte er diese Aufgabe bravourös.

Für den Kontrahenten, der drei mal gegen uns den Kürzeren zog, blieb der 31. Rang. Gegen den spielstarken Franzosen Thierry Poesson (Caisse d´espargne) nahm ich dessen frühes Remisangebot dankend an. Er landete mit seinen 6 Unentschieden und nur einer Niederlage auf dem 13. Rang. Robert durfte am 1. Tisch sogar gegen den Tabellenführer John Sloots ran und wurde zweiter Sieger. Auch Norbert schied mit seiner Niederlage gegen Janis Lelis (6.) aus der Spitzengruppe aus. Doc Wolfgang behielt mit dem Remis gegen Roland Kammer (auch 6.) zumindest seine Chancen auf eine vordere Platzierung.

In der vorletzten Runde musste er gegen den DWZ-Besten Ralf Müller, der mit 1½ Minuspunkten einen halben Zähler hinter John Sloots lag, spielen. Doc Wolfgang lauerte mit einem weiteren ½ Zähler Rückstand. Ralf Müller, der unbedingt gewinnen wollte, überzog seinen Angriff, sodass er von Doc Wolfgang ausgekontert wurde. Robert hielt gegen den Letten Vjaceslavs Vernuks remis. Derer erspielte er sich insgesamt sechse und kam bei einer Null auf Rang 14. Das Los wollte es so, dass Norbert gegen mich antreten musste. Lange Zeit sah es so aus, als ob Norbert leichte Vorteile gegen mich hätte, doch mit einem einzigen Zug brach seine ganze Stellung zusammen. Marten verlor gegen Manfred Spankowsky von der Iduna, nachdem dieser ihm Remis angeboten hatte. Hans-Werner verlor gegen Ulrich Ramelow (23.) von der Sparkasse Bremen.

In der letzten Runde verbesserte er seinen Score auf 4 Zähler, da er dem Letten Valeri Vassiljev (33.) das Nachsehen gab und landete damit auf dem 27. Rang. Auch wenn er damit unter 50% blieb, so war seine Turnierleistung (wie übrigens auch all der anderen aus unserer Gruppe) über seinem Erwartungswert. Norbert war nach seinem schnellen K.O. gegen mich dermaßen deprimiert, dass er sich erst einmal ordentlich einen hinter die Binde kippen musste.

So war es auch kein Wunder, dass er alsbald gegen Wolfgang Kraus (16.), ein weiterer Vertreter der Autofirma aus dem Schwäbischen, die mit den meisten Spielern antrat, alle Viere von sich streckte. Mit seinen drei Niederlagen am letzten Tag hat sich Norbert damit die Chance um eine sehr gute Platzierung genommen, nachdem er lange Zeit zu den Top Ten gehörte - so blieb ihm nur der 25. Rang.

Auch Robert kam in seiner letzten Partie gegen den Tabellenelften Sigfried Kraemer - das war der Spieler, der so gerne Remis gibt - unter die Räder. Somit war auch sein toller Start nicht vom Erfolg gekrönt, der letzte Turniertag war auch nicht gerade sein großer Tag, es blieb letztlich nur der 18. Platz. Etwas mehr begünstigt vom Schweizer System war Marten: Er dümpelte immer im hinteren Mittelfeld und schlug erst am letzten Tag richtig zu. Hans Martin Fetzer (28.), der schon Norbert und Hans-Werner unterlag, hatte keine Chance gegen ihn. Mit dem 15. Rang war Marten sehr gut bedient.

Ich durfte die letzte Runde gegen Manfred Spankowski (11.), Martens letzten Gegner, bestreiten. Wie im Spiel zuvor bot er mir Remis an, welches ich ablehnte. Doch rechtzeitig, bevor auch mein Spiel kippte, bot ich Remis an, welches mein Gegenüber annahm. Mit dem fünften Remis und nur einer Niederlage (gegen den Turniersieger) sowie dem 9. Platz durfte ich doch mehr als zufrieden sein.

Vor Beginn der letzten Runde lag Doc Wolfgang einen halben Zähler hinter dem führenden Niederländer. In der letzten Runde behielt er gegen Bernd Wepfer (Stern Stuttgart) die Oberhand. Für Zweiteren war es die erste Niederlage am Brett, zuvor verlor er nur ein mal kampflos, ihm blieb der 8. Rang. Da John Sloots gegen Max Rosenberg (4.) aus Tel Aviv nicht über ein Remis hinaus kam, musste die Buchholz-Wertung entscheiden. Diese schlug erwartungsgemäß zu Gunsten des sympatischen Holländers aus, da dieser fast das gesamte Turnier über die Tabelle anführte. Trotzdem war der 2. Platz von Doc Wolfgang (Tabelle) vor Ralf Müller ein toller Erfolg!

Unser Meister erhält die Silbermedaille aus den Händen der Organisatorin, Andra Cimina

Die drei Erstplatzierten: In der Mitte der Sieger John Sloots umrahmt von Ralf Müller und Doc Wolfgang

Die Abschlusszeremonie ließen sich Doc Wolfgang und der große Vorsitzende nicht entgehen. Im Skonto-Stadion, das recht gut gefüllt war, wurde eine Wasser-Licht-Show zu den Klängen von Johann Strauß-Walzern gezeigt - ein Ausblick auf das nächste Eurofestival in Salzburg. Als bei der anschließenden Party in der Skonto-Halle die ersten Techno-Laute erklangen, war es Zeit für mich, das Weite zu suchen.

Riga, als teuerste Stadt des Baltikums im Führer vorgestellt, machte diesem Vorurteil immer wieder alle Ehre. Auch die Suche nach einem preiswerten Hotel, das wir für die beiden Tage nach dem Festival in Riga ansteuerten (der Weg nach Jurmala schien uns doch zu weit) gestaltete sich als recht schwierig. In der Altstadt gibt es nur Zimmer von 200 DM aufwärts. Schließlich fanden wir eines unweit vom Zentrum, das "nur" etwas mehr als 100 DM kostete.

Auch die Suche nach einer Stadtführung gestaltete sich nicht einfach. Jede Gruppe in Riga hatte während des Festivals einen eigenen Guide, eine Art Führer/in, für uns war dies Anna, eine 16-jährige Schülerin. Sie gehört der russischen Minderheit an. Dies ist ein sehr spezielles Problem in Lettland. Mehr als 30% der Einwohner im Lande (in Riga sogar mehr als die Hälfte) gehören dieser Minderheit an. Auf die meine Frage, ob sie sich als Einwohnerin dieses Landes betrachte, lachte Anna nur höhnisch. Denn die Letten haben nach der Loslösung ihres Landes von der Sowjetunion ein Einbürgerungsgesetz beschlossen, wonach jeder, der Lette werden will, eine Eignungsprüfung über die lettische Sprache und deren Kultur machen muss. Dies fällt natürlich jedem Letten nicht schwer, während die Russen in dem Land kaum ein Wort lettisch verstanden.

Bei der Jugend dieses Landes ist dies mittlerweile anders. Von der ersten Klasse an lernt jeder Schüler in Lettland drei Sprachen: lettisch, russisch und englisch bzw. deutsch. So ist es auch kein Problem, junge Leute in diesem Land anzusprechen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass fast jeder Jugendliche entweder deutsch oder englisch versteht - nur russisch will nicht jeder Lette verstehen...

Aber kann man es den Letten verdenken, wenn sie sich gegen die Russifizierung der letzten 40 Jahre jetzt so zur Wehr setzen? Vielleicht werden auch sie in den nächsten Jahren etwas mehr Großmut zeigen! Somit sind in diesem Land fast 30% der Bevölkerung staatenlos, was auch zur Folge hat, dass die Letten ohne Visum in die EU einreisen dürfen, während die staatenlosen Russen dafür wiederum ein Visum benötigen.

Doch zurück zu Anna! Über ihre Vermittlung versuchten wir eine Stadtführung durch Riga zu bekommen. Dies wurde uns für sage und schreibe 500 DM (allerdings für 9 Stunden inklusive Auto) angeboten. Auf unseren Vorschlag, dass wir unser eigenes Auto einsetzen würden - angeblich hätte das Auto mit 350 DM zu Buche geschlagen, hieß es, dass das Auto bereits gemietet sei. Auf diese doch selbst für unsere Verhältnisse recht teuren Dienste verzichteten wir lieber und fragten unsere Führerin Anna, ob sie nicht Lust hätte, uns die Stadt am nächsten Tag gegen ein kleines Entgelt zu zeigen. Sie meinte zwar, dass sie nicht viel zu den Sehenswürdigkeiten zu sagen hätte, erklärte aber, dass sie dies zusammen mit einer Freundin machen würde.

Am nächsten Tag waren wir dann aber doch sehr überrascht, wie fundiert unsere beiden Führerinnen Anna und Natascha, die beide sehr gut deutsch sprachen, über ihre Heimatstadt Bescheid wussten. Wie sie am Ende erzählten, hatten sie sich das meiste noch über Nacht angeeignet.

 Rigas Altstadt ist einfach fantastisch. Im Krieg ist einiges (sowohl von den Deutschen als auch von den Russen, Riga ist insgesamt 3 mal eingenommen worden) zerstört worden, doch das meiste steht wieder in vollem Glanze.

Der Rigaer Dom, der größte Kirchenbau des Baltikums

Alsdann, wir nahmen die drei größten und ältesten Kirchen in Augenschein: die Johanniskirche, den Dom, seines Zeichens der größte Kirchenbau des Baltikums, es finden dort 5000 Personen Platz, und das Wahrzeichen der Stadt, die Petrikirche. Ein Fahrstuhl führt hinauf in die Galerie in 72 m Höhe, von der aus sich ein wunderschöner Ausblick über Rigas Altstadt bietet. Architektonische Meisterwerke sind die Bauwerke der Kleinen und Großen Gilde sowie die Schwarzhäupterhäuser, die erst vor Kurzem wieder aufgebaut wurden (die deutschen Kaufleute hatten sich in der Großen Gilde zusammengeschlossen, die Handwerker in der Kleinen Gilde und die unverheirateten, nicht in Riga ansässigen Kaufleute und Handwerker waren in der Bruderschaft der Schwarzhäupter zusammengefasst).

 

Die beiden Schwarzhäupterhäuser auf dem Rathausplatz, die erst seit zwei Jahren wieder in voller Pracht stehen. An der Front prangen auch wieder die originalen deutschen Sprüche.

Aber es gibt auch noch wenige Reste sowjetischer Baukunst: Direkt am Ufer der Daugava steht das Denkmal der lettischen Schützen, eine Erinnerung an die lettische Einheit, durch die die Oktoberrevolution 1917 begann, sie war es, die das russische (frei gewählte) Parlament stürmte. Direkt daneben befindet sich das Rigaer Schloss, welches heute der Sitz des Präsidenten ist.

Ein Relikt aus vergangenen Tagen: Das Denkmal zu Ehren der lettischen Brigade, direkt am Ufer des Daugava gelegen.

Leider war von der Freiheitsstatue, angeblich mit 42 m das höchste Denkmal Europas, wegen ihrer Restaurierung nicht viel zu sehen. Dieses wichtigste Denkmal Lettlands wurde 1920, kurz nach der ersten Unabhängigkeit, erbaut. Zu Sowjetzeiten war es Symbol lettischer Freiheitsbestrebungen und daher immer den Sowjets ein Dorn im Auge. Als man es abtragen wollte, weil es angeblich aufgrund der verkehrsbedingten Erschütterungen brüchig sei und ein Sicherheitsrisiko darstellte, ließen die Rigaer Stadtväter den Verkehr umlenken und richteten eine Fußgängerzone ein.

 Am Ende unseres Stadtrundganges stand die Alberta iela. Diese Straße ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den Jugendstil (rd. ein Drittel der Altstadt ist Jugendstil) in Riga. Eine ganze Straße mit fantastischen Jugendstilhäusern. Berühmtester Architekt vieler dieser Bauwerke war übrigens Michael Eisenstein, der Vater von Sergej Eisenstein, dem großen russischen Filmregisseur, der in Riga geboren wurde. 

Die Alberta iela, ein beeindruckendes Beispiel für den Jugendstil in Riga. Der Verfasser zeigt hier (auch in eindrucksvoller Weise) seine Fotografier-Kunst und erwischte ausgerechnet das schäbigste Haus der ganzen Straße.

Wir verabschiedeten uns bei unseren netten Führerinnen und fuhren nachmittags zum Rigaer Motormuseum, da es an diesem Tage zum ersten Male etwas regnete. Ein echter Genuss für Auto-Fans: Neben alten Horch-Karossen, so groß wie Feuerwehrautos, gibt es dort auch die alten Staatsgefährte von Stalin und Chrustschow sowie den original Rolls-Royce-Unfallwagen, an dessen Steuer Breschnew (volltrunken) saß. Demgegenüber war der schnellste Diesel der Welt (ein VW) schon eine andere Welt.

Wie heißt die Partnerstadt von Riga?

Der Original-Unfall-Rolls-Royce Silver Shadow, den Leonid Breschnew zu Schrott fuhr.

Am nächsten Tag machten wir uns auf zu einem Ausflug nach Sigulda, das am Rande des Gauja-Nationalparks liegt. Wir fuhren die 40 km über die Autobahn. Doch was heißt hier Autobahn? Wir waren ja schon gewohnt, dass die Menschen dort die Autobahn als normalen Spazierweg benutzten, und wenn man die Autobahn zu Fuß queren muss, dann tut man dies halt. Auch über Bushaltestellen direkt an der Autobahn wunderten wir uns nicht mehr. Aber ein Zebrastreifen quer über die Autobahn, das sorgte durchaus für einen echten Überraschungseffekt. Auch der beschrankte Bahnübergang (zumindest galt dort Tempo 70) war ein weiteres Highlight.

Nach einem anstrengenden Spaziergang durch den Nationalpark (oder lag es nur an den Anstrengungen des Vorabends?) suchten wir die Seilbahn auf, die den Fluss Gauja überquert. Leider fuhr diese wegen Reparaturarbeiten nicht. Damit sich keiner Sorgen machte, hatte ich den anderen verschwiegen, dass mir unsere beiden Führerinnen am Vortag mitteilten, dass 2 Wochen zuvor ein Unfall mit der Seilbahn geschah. Trotzdem hatte man dort einen schönen Ausblick über das Tal. Das Wetter ließ es allerdings alsbald ratsam erscheinen, nach Riga zurück zu kehren. Auf der Rückfahrt machten wir Halt am angeblich besten Restaurant Lettlands, es handelte sich um eine Autobahnraststätte! Aber das Essen war gut!

Am späten Nachmittag erwartete uns ein Schachwettkampf gegen eine Truppe der Rigaer Schachschule. Dieses Match hatten wir dank der lettischen Generalsekretärin, die auch als Organisatorin des schachlichen Teils des Eurofestivals fungierte, organisiert.

Von den Zahlen her war der Gegner etwas besser, was sich auch in der knappen 2½ : 3½ Niederlage niederschlug. Doc Wolfgang gewann recht schnell, ich konnte wieder einmal im Endspiel mein Match umdrehen und gewann auch, und Hans-Werner trug ein sicheres Remis bei. Doch Robert grübelte noch 3 Wochen danach, wie er sein sicheres Remis-Endspiel noch abgeben konnte. Und die Albrecht-Sisters bekamen eine echte Lehrstunde erteilt.

Danach hieß es Abschied nehmen vom lettischen Bier. Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg nach Klaipeda. Da der Dampfer aber erst am späten Abend fuhr, hatten wir noch jede Menge Zeit. So nahmen wir uns noch Zeit für das Schloss Rundale, das größte Barockschloss des Baltikums. Auch wenn es im Innern renovierungsbedürftig erschien, so machte es von außen einen prächtigen Eindruck.

Schloss Rundale

Von weitem beeindruckt der Berg der Kreuze noch nicht....

 Nach Überwindung der lettisch-litauischen Grenze hielten wir noch einmal zwecks Besichtigung an, was wir nicht bereuen sollten. Der Berg der Kreuze ist nicht nur ein Ort des Glaubens, sondern auch des litauischen Nationalbewusstseins. Man schätzt, dass dort 10.000 große und 10.000 kleine Kreuze stehen. Ich würde eher auf 100.000 kleine Kreuze tippen, da an jedem großen noch zig kleine hängen.

Doch von Nahem betrachtet ist es schon ein ungeheures Schauspiel

Die ersten Kreuze wurden nach den polnisch-litauischen Aufständen gegen den Zaren im 19. Jahrhundert aufgestellt, doch richtig viele wurden es erst in der Sowjetzeit. Und den sowjetischen Besatzern gelang es nicht, diesen Ort dem Boden gleich zu machen. Immer wenn die Bulldozer gingen, kamen kurze Zeit später wieder die Menschen, die neue Kreuze errichteten oder aber die alten wieder aufrichteten. Auf jeden Fall hat dieser Ort schon etwas Beeindruckendes.

Weiter ging es gen Klaipeda. Dort angekommen, mussten wir erst einmal Abschied nehmen von unserem Plan, die kurische Nehrung zu besuchen und deren Aussicht zu genießen, da der Nebel dies einfach nicht zuließ. Klaipeda ist mit 200.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Litauens, doch uns erschien diese im Gegensatz zu Riga unwirklich. Weder das alte noch das neue Stadtzentrum waren in irgend einer Weise belebt. Wir spazierten ein wenig durch die Straßen, auch am ehemaligen Symbol der Stadt vorbei, dem Ännchen von Tharau (dem aus dem Volkslied), doch uns kam nur eine unwirkliche Leere entgegen, wie ich es selten in einer Großstadt erlebt habe.

Am Abend genossen wir noch einmal die baltische Braukunst, diesmal die litauische Version. Sie stand der lettischen in Nichts nach. Am Rande: Als wir gegen Abend einschifften, gab es auf dem Schiff Lübzer Pilsener. Bisher hielt ich dies für eines der besseren Biere. Doch das erste auf dem Schiff war für uns alle einfach schrecklich. Na gut, danach hatten wir uns schnell wieder daran gewöhnt.

 Auf dem Schiff angekommen, waren wir doch angenehm über den Komfort überrascht. Nur Norbert hatte am ersten Abend etwas Schwierigkeiten mit dem Schlaf - erfand gegen 3 Uhr morgens nicht die Leiter, um ins obere Bett zu kommen. Unser Schiff war eigentlich eine Frachtfähre, die auch andere Passagiere mitnahm. Sie war bis auf den letzten Platz (140) gefüllt. Am nächsten Tag nahmen wir gleich den Konferenzraum in Beschlag, in dem wir bis zum Abwinken Schach spielten. 32 Stunden dauerte es, bis wir in Kiel ankamen. Wegen eines Containers, der direkt vor unserem Auto stand, waren wir leider die Letzten, die vom Schiff kamen. Als wir die letzten Kilometer von Kiel nach Hamburg fuhren, überfiel uns alle eine bleierne Müdigkeit ob der vielen Eindrücke, die wir gewonnen hatten.

Wer jetzt noch nicht ins Baltikum will, ist selber schuld!

Und wer zum nächsten Eurofestival möchte: Es findet vom 25. - 29.06.2003 in Salzburg statt. Die Preise sind dort allerdings etwas höher: Der Teilnehmerbeitrag beträgt voraussichtlich 110 €, die unterste Unterbringungskategorie 175 €, für ein Einzelzimmer 50 € mehr.